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Der Weg eines Arzneimittels – Von der globalen Studie zur lokalen Marktverfügbarkeit

In einer globalisierten Welt gewinnt die internationale Zusammenarbeit immer mehr an Bedeutung. So auch im Bereich der Arzneimittelforschung: Arzneimittel werden heutzutage meistens weltweit getestet. Wir erklären, wie der Weg eines Arzneimittels von einer globalen Studie bis hin zur Arzneimittelzulassung aussieht.

Bevor ein neues Arzneimittel bei den Patient:innen ankommt, hat es bereits einen langen Weg hinter sich: Der Prozess von Forschung und Entwicklung bis zur Arzneimittelzulassung dauert im Schnitt 13 Jahre. In diesen 13 Jahren hat sich der Wirkstoff im Labor gegen im Schnitt 10.000 weitere Substanzen durchgesetzt, in prä-klinischen Testungen bewährt und wurde anschließend in klinischen Studien auf der ganzen Welt erprobt. Diese klinische Entwicklung gliedert sich in drei Phasen: Phase I – Erprobung des Wirkstoffs mit wenigen Gesunden1 , Phase II – Erprobung mit wenigen Kranken und zuletzt Phase III – Erprobung mit vielen Kranken. In Phase III wird das Arzneimittel an mehreren tausend Patient:innen meist auf der ganzen Welt erprobt. Ziel ist es, die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zu bestätigen sowie etwaige Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln zu untersuchen (1). Im Allgemeinen ist erst nach einer erfolgreichen Studie der Phase III eine Arzneimittelzulassung und damit die Behandlung von infrage kommenden Patient:innen möglich.

[1] Eine Ausnahme stellen onkologische Präparate dar, diese werden nie an Gesunden getestet.

Gründe für globale Studien – Genetische Vielfalt und Zulassungsbestimmungen
Im Gegensatz zu den Phasen I und II muss eine klinische Studie der Phase III häufig global durchgeführt werden. Das hat verschiedene Gründe – der naheliegendste ist die Schwierigkeit, eine ausreichende Anzahl an Teilnehmenden zu rekrutieren. Mit dem Anspruch der personalisierten Medizin, maßgeschneiderte Therapien zu ermöglichen, werden immer zielgerichtetere Wirkstoffe erprobt. Dadurch sinkt jedoch der Pool an potenziellen Proband:innen und damit die Aussicht, aussagekräftige Erkenntnisse zu gewinnen. Beschränkt sich die Studie beispielsweise auf ein seltenes Krankheitsbild, müssen aus diesem Grund einige wenige Patient:innen an mehreren Standorten rekrutiert werden. So wird auch vermieden, dass sich die Dauer der Studie und dadurch der Zeitraum bis zur Verfügbarkeit neuer Therapiemöglichkeiten verlängert (2).

Des Weiteren kann durch eine Ausweitung der Studie die genetische Vielfalt vergrößert werden. Geografisch unterschiedliche Versuchsstandorte sind erforderlich, um die Sicherheit und Wirkweise des Arzneimittels bei verschiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen weltweit zu prüfen (3). Durch die Globalisierung einer Studie wird somit eine möglichst große, genetisch heterogene Studiengruppe untersucht und folglich präzisere und aussagekräftige Studienergebnisse produziert. In ökonomisch schwächeren Ländern tragen klinische Studien außerdem neben der Behandlung vorherrschender Krankheiten dazu bei, die Ausbildung und Infrastruktur in der (klinischen) Forschung zu verbessern (4, 5).Auch um den behördlichen Anforderungen einzelner Staaten zu entsprechen, sind an globalen klinischen Studien häufig 15 bis 30 Länder beteiligt. Länder wie Russland und Indien sehen beispielsweise vor, dass die nationale Zulassung eines Arzneimittels nur dann möglich ist, wenn dessen Erprobung unter Einbeziehung von Studienzentren des eigenen Landes erfolgt ist (6). Eine Verlagerung in Schwellenländer findet jedoch nicht statt: Im Zeitraum von 2005-2012 wurden weiterhin weltweit 67% der klinischen Studien in den USA, Kanada oder Europa durchgeführt (7). Im internationalen Vergleich belegt Deutschland nach den USA, China, Spanien und dem Vereinigten Königreich Platz 5 und bleibt ein wichtiger Standort für die Durchführung klinischer Studien (8).


Globale Standards für alle Studienstandorte
Unabhängig davon, in welchem Land eine klinische Studie durchgeführt wird, ist das oberste Ziel stets, die Sicherheit und das Wohlergehen aller Studienteilnehmer:innen zu gewährleisten. Ein geeigneter Standort muss den regulatorischen, demographischen und infrastrukturellen Anforderungen entsprechen, die von der klinischen Studie, aber auch von den jeweiligen Behörden, vorgegeben sind. Hierbei ist zudem der Pool an geeigneten Patient:innen entscheidend, denn je größer dieser ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, eine ausreichende Anzahl an Teilnehmer:innen zu rekrutieren.

Neben lokalen und regionalen Vorschriften unterliegen globale klinische Studien auch ethischen Grundsätzen und globalen Standards. Dazu gehören internationale Richtlinien wie die „Good Clinical Practice“ (GCP) und die Deklaration von Helsinki – eine Reihe von ethischen Grundsätzen, die weltweit als Leitlinie für klinische Forschung anerkannt sind. Die GCP stellt einen international anerkannten regulatorischen Standard für Planung, Durchführung, Monitoring, Auditierung, Dokumentation, Auswertung und Berichterstattung von klinischen Studien dar. So sollen zum einen Rechte und Identitäten aller Studienteilnehmer:innen geschützt und zum anderen sichergestellt werden, dass die erhobenen Daten und Ergebnisse valide und reproduzierbar sind (9).

Von der globalen Studie zum regionalen Zulassungsverfahren
Nachdem ein Arzneimittel alle Phasen der klinischen Studie erfolgreich durchlaufen hat, kann bei der jeweiligen Zulassungsbehörde ein Antrag auf Zulassung gestellt werden. Die Anforderungen für eine Zulassung und der Prozess selbst unterscheiden sich von Land zu Land, sodass auch die Dauer bis zur tatsächlichen Marktverfügbarkeit stark variiert. In der EU ist die europäische Arzneimittelagentur EMA (European Medicines Agency) für die Zulassung und die fortlaufende Überwachung (Pharmakovigilanz) von Arzneimitteln zuständig. Auf Empfehlung der EMA erteilt dann die Europäische Kommission in einem zentralisierten Verfahren die Genehmigung für die EU-weite Zulassung des Arzneimittels. Andere Länder außerhalb der EU haben eigene Zulassungsbehörden, in den USA ist dies beispielsweise die FDA (Food and Drug Administration). Für die Unternehmen besteht außerdem die Möglichkeit, den Zulassungsantrag rein lokal zu stellen. Das Arzneimittel kann dann nur im entsprechenden Land vertrieben werden statt EU-weit. In Deutschland sind dafür das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zuständig.

In einer globalisierten Welt werden klinische Studien global durchgeführt, aber die Zulassung ist weiterhin nur auf regionaler Ebene möglich. Die Schwierigkeit für Pharmaunternehmen besteht also einerseits darin, Arzneimittel zu entwickeln, deren Wirksamkeit und Verträglichkeit bei Patient:innen auf der ganzen Welt gezeigt wird. Andererseits müssen bereits im Studiendesign die unterschiedlichen Anforderungen der lokalen Behörden beachtet und zuletzt deren Zulassungsverfahren durchlaufen werden. Von einer Harmonisierung dieser Verfahren und einer damit verbundenen schnelleren Zulassung neuer Arzneimittel würden also nicht nur Unternehmen, sondern auch die betroffenen Patient:innen profitieren. Das Ziel einer solchen Harmonisierung hat etwa der ICH (International Council for Harmonisation of Technical Requirements for Pharmaceuticals for Human Use) in seinen globalen Leitlinien formuliert und im Dialog mit Vertreter:innen der Zulassungsbehörden und der pharmazeutischen Industrie Richtlinien zur Bewertung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln erarbeitet (10). Doch noch bleibt die Zulassung neuer Arzneimittel in den Händen der lokalen bzw. regionalen Verantwortlichen.  

Der Weg zu den Patient:innen – Lokale Marktverfügbarkeit
Ist das Arzneimittel zugelassen, kann es in den lokalen Markt eingeführt werden. Die Dauer zwischen Zulassung und Verordnungsfähigkeit unterscheidet sich von Land zu Land. Bis ein Arzneimittel in Deutschland tatsächlich verfügbar ist, dauert es aktuell durchschnittlich etwa 50 Tage. Dieser Zeitraum ist kürzer als in den meisten anderen europäischen Ländern. Das ist möglich, weil neue Arzneimittel in Deutschland sofort nach ihrer Zulassung von den Krankenkassen erstattet werden. Mit dem Tag der Markteinführung startet dann das Verfahren zur Festlegung der Arzneimittelpreise durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz, kurz AMNOG (11).

Mit der Zulassung ist ein Arzneimittel nach einem weiten Weg, der im Labor begonnen hat und dessen Wirkung und Sicherheit in mehreren klinischen Studien weltweit bestätigt wurde, am Ziel angekommen – und steht doch erst am Anfang. Nach durchschnittlich 13 Jahren (12) erreicht es schließlich Patient:innen und kann als neue und innovative Therapiemöglichkeit eingesetzt werden.

Referenzen:
1, 12: https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/so-funktioniert-pharmaforschung/so-entsteht-ein-medikament.html (Zugriff am 24.11.2021)
2, 3: Lang, Trudie, Siribaddana, Sisira. “Clinical Trials Have Gone Global: Is This a Good Thing?” PLoS Med 9,6 (2012): e1001228.
3: Sharma, Ashwarya, Palaniappan, Latha. “Improving diversity in medical research.” Nat Rev Dis Primers 7, 74 (2021).
4,5,7: Drain, Paul K., Robine, Marion, Holmes, King K. et al. “Global migration of clinical trials.” Nat Rev Drug Discov 13 (2014): 166–167.
6: https://www.vfa.de/de/patienten/patienten-klinische-studien/klinische-studien-in-indien-und-anderen-schwellenlaendern.html (Zugriff am 24.11.2021)
8: https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/forschungsstandort-deutschland/klinische-studien-deutschland.html (Zugriff am 24.11.2021)
9, 10: https://www.online-zzi.de/archiv/ausgabe/artikel/zzi-3-2014/1392-ich-und-gcp-regelwerk-und-rationale-zur-qualitaetssicherung-in-klinischen-pruefungen/ (Zugriff am 24.11.2021)
11: https://www.vfa.de/de/presse/pressemitteilungen/pm-009-2021-deutschland-ist-schnell.html (Zugriff am 24.11.2021)