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Gentechnik in der Medizin: Wegbereiter für Innovation

Obwohl die Entwicklung vieler innovativer Arzneimittel und Therapien auf Gentechnologie basiert, stößt der Begriff „Gentechnik“ regelmäßig auf Widerstand. So wird er oftmals automatisch mit gentechnisch veränderten Pflanzen oder Nahrungsmitteln in Zusammenhang gebracht. Bei jedem vierten Deutschen weckt er negative Assoziationen. Die Befürwortung von Gentechnik steigt jedoch auf 90 Prozent, wenn man die Befragten darüber aufklärt, dass Gentechnologie dabei helfen kann, Erkrankungen wie Krebs besser behandeln zu können. Aber was steckt eigentlich dahinter?


Gentechnik beschreibt Methoden und Verfahren der Biotechnologie, mit denen genetische Informationen gezielt abgeändert oder veränderte Mikroorganismen zur Produktion von komplexen Molekülen und Proteinen eingesetzt werden. Dabei unterscheidet man zwischen drei Bereichen der Gentechnik. Die sogenannte „grüne“ Gentechnik kommt bei Pflanzen zur Anwendung. Sie wird beispielsweise zur Erhöhung der Resistenz gegen Schädlinge und Umwelteinflüsse eingesetzt. Die „weiße“ Gentechnik findet Anwendung in der Industrie, zum Beispiel bei der Herstellung von Wasserstoff. Rot steht in der Gentechnik für Medizin und Pharmazie.

 

Entstehung und Geschichte der medizinischen Gentechnik

  • 1865: Gregor Johann Mendel erforscht die Mechanismen der Vererbung anhand gelber und grüner Erbsen und legt damit den Grundstein zum Verständnis der Vererbung von Eigenschaften.
  • 1953: James Watson und Francis Crick veröffentlichen das Doppelhelix-Modell der DNA.
  • 1973: Fremde DNA kann erstmals erfolgreich in das Genom eines Mikroorganismus integriert werden.
  • 1977: Zum ersten Mal wird ein humanes Protein im gemeinen Darmbakterium Escherichia coli produziert.
  • 1977 Sanger und Coulson veröffentlichen ihre Methode zur DNA-Sequenzierung.
  • 1982: Humanes Insulin wird als erstes gentechnisch produziertes Arzneimittel zugelassen.
  • 1990: Das Human-Genome-Projekt startet mit dem Ziel, das komplette menschliche Genom zu sequenzieren.
  • 1990: Die weltweit erste Gentherapie wird durchgeführt: Einem kleinen Mädchen in den USA werden gentechnisch veränderte Zellen injiziert mit dem Ziel, das defekte Gen, das bei ihr zu einer Störung des Immunsystems geführt hatte, durch eine intakte Version des Gens zu ersetzen.
  • 2010: Erstmals wird ein komplett synthetisches Genom erstellt und in eine leere Bakterienzelle integriert.
  • 2012: Das CRISPR-Cas9-System zum Genome Editing wird entdeckt und veröffentlicht.

 

Neue Arzneimittel dank Gentechnik
Die gentechnische Produktion von lebenswichtigen Arzneimitteln gewinnt mehr und mehr an Bedeutung. Fast jeder zweite neu zugelassene Wirkstoff wird mit gentechnischen Mitteln hergestellt. Zusammengenommen sind aktuell über 290 solcher Arzneimittel mit mehr als 240 Wirkstoffen in Deutschland zugelassen1. Zu ihnen zählen unter anderem Humaninsuline sowie biotechnologische Arzneimittel gegen Krebs, Autoimmunerkrankungen, Stoffwechsel- und Gerinnungsstörungen. Auch Impfstoffe gegen Gebärmutterhalskrebs und Hepatitis B werden mit Hilfe von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) hergestellt. GVO haben fremde Gene in ihr Genom integriert und können dadurch bestimmte Proteine in größeren Mengen produzieren, als sie es normalerweise tun. So ist es beispielsweise möglich, dass Bakterien die menschliche Version des Insulins, das Humaninsulin, herstellen.

Therapie und Vorsorge
Einige Erkrankungen werden, statt mit gentechnisch hergestellten Pharmazeutika, durch Gentherapie behandelt. Bei der Gentherapie werden fremde Gene direkt in die DNA der Patientenzellen integriert. Meist soll ein defektes Gen durch dessen intakte Version ersetzt werden. Die Gentherapie von Keimbahnzellen (Eizellen und Spermien) ist in Deutschland allerdings gesetzlich verboten, damit die Veränderung der DNA nicht an Nachkommen vererbt wird2.
Die Gentechnik kann neben der Behandlung auch zur Diagnose von Erkrankungen und genetischen Defekten beitragen. So lässt sich beispielweise mit Hilfe von so genannten DNA-Chips testen, ob eine Patientin ein erhöhtes Risiko für erblichen Brustkrebs aufweist3.

Gene spezifisch ausschalten
Um die Funktion spezifischer Gene zu ermitteln und Erkrankungen zu erforschen, können Wissenschaftler gezielt Gene ausschalten. Sie können direkt in das Genom eines lebenden Versuchsorganismus eingreifen (in vivo) oder die DNA von einzelnen Zellen in Kultur verändern (in vitro). Um ein Gen still zu legen (Knock-Out) werden die Zellen mit spezifischen Enzymen, den Endonukleasen, behandelt. Diese zerschneiden das Genom an der spezifischen Stelle. Die Bruchstellen des DNA-Doppelstrangs werden in tierischen und menschlichen Zellen meist durch den Vorgang der nicht-homologen Endverknüpfung (NHEJ) wieder miteinander verbunden. Im Zuge dieses Reparaturvorgangs gehen Teile der ursprünglichen Sequenz verloren, wodurch die Funktion des Gens dauerhaft beeinträchtigt wird.  

Viren als Werkzeuge der Gentechnik
Erb-Erkrankungen sind auf Mutationen der DNA zurückzuführen, wodurch bestimmte Proteine nicht oder nur fehlerhaft gebildet werden. Um dieses Defizit auszugleichen, können intakte Gene in den erkrankten Organismus eingebracht werden. Auch wenn es im ersten Moment widersprüchlich klingt, ist genau dies mit Hilfe von Viren möglich. Viren benötigen von Natur aus einen Wirt, der ihre eigene genetische Information vervielfältigt. Einige Viren gehen dabei sogar soweit, dass sie ihre Gene in das Genom ihres Wirts einbauen. Solche Viren macht man sich heute als „Vektor“ für die Gentechnik zu nutze. Dafür wird das Virusgenom einfach durch die spezifische DNA-Sequenz, die in einen Organismus oder eine Zelle eingebracht werden soll, ersetzt und der „Wirt“ anschließend infiziert.

Spezifische Integration fremder Gene
Zwar können Viren fremde Gene effizient in den genetischen Code eines Organismus einbringen, die genaue Stelle der Integration lässt sich jedoch oft nicht steuern. Für einen ortsspezifischen Einbau fremder Gene muss das Genom zunächst durch eine Endonuklease an der festgelegten Stelle zerschnitten werden. Besonders schnell und günstig geht das mit der CRISPR-Cas9-Technologie. Bei dieser vom Science Magazin zum Durchbruch des Jahres 2015 ernannten Genome Editing-Methode navigiert eine beigefügte RNA die Endonuklease Cas9 zur Zielsequenz. Diese „guide RNA“ kann von Forschern sehr einfach beliebig angepasst werden, um eine Vielzahl unterschiedlicher Sequenzen ansteuern zu können.

Nachdem die Endonuklease die Doppelhelix zerschnitten hat, kann ein fremder DNA-Abschnitt in die Schnittstelle eingebaut werden. Voraussetzung für die erfolgreiche Integration ist, dass die Sequenz an den Enden der fremden DNA genau gegensätzlich („homolog“) zu der Bruchstelle im Genom ist. Diese homologen Bereiche binden aneinander und die fremde DNA wird als Brücke zwischen den beiden Bruchenden eingebaut. Dieser Mechanismus nennt sich homologe Rekombination. Dadurch ist es möglich, rekombinante DNA-Moleküle zu designen, die DNA-Sequenzen verschiedener Organismen besitzen und so in der Natur nicht vorkommen. Allerdings nehmen die meisten Zellen nackte DNA nicht von alleine auf. Dafür sorgt die Zellmembran, die einen natürlichen Schutzwall darstellt und den Transport in die Zelle und aus der Zelle hinaus reguliert. Forscher jedoch können die Durchlässigkeit der Zellmembran mittels Spannung, Ultraschall oder Hitzeschock beeinflussen, wodurch die Zellen die fremden Moleküle aufnehmen können.

Die Gentechnik spielt eine wichtige Rolle für die medizinische Versorgung, denn sie bildet die Grundlage für zahlreiche innovative Medikamente, Therapien und Vorsorgeformen. Mit Hilfe der CRISPR-Cas9-Methode lässt sich DNA beispielsweise gezielt zuschneiden und anschließend verändern. Dieses gentechnische Verfahren ist in nahezu allen lebenden Zellen und Organismen anwendbar. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten für den Kampf gegen Aids, Krebs und eine Reihe von Erbkrankheiten.

Quellen
1.    https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/datenbanken-zu-arzneimitteln/amzulassungen-gentec.html (Zugriff am 13.08.2020)
2.    § 5 Absatz 1 ESchG
3.    https://www.igb.fraunhofer.de/de/forschung/virus-basierte-technologien/array-technologien/therapiebegleitende-diagnostik.html (Zugriff am 13.08.2020)

30.09.2020